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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : schwere passiv Membranen und lange BR Kanäle - Problem?



newmir
01.12.2021, 17:30
Ich habe da mal eine Frage für Leute mit Ahnung von Physik:

Ich habe ja grundsätzliche ein Problem mit kleinen Bassreflexlautsprechern. Und zwar hat irgendwann mal eine Eigenkonstruktion von mir nicht richtig funktioniert und deswegen glaube ich jetzt alle kleinen BR-Boxen haben ein Problem :D.

Also ich setze hier beim Bass natürlich entsprechende Parameter voraus .... er sollte theoretisch eine tief Abstimmung in einem sehr kleinen Volumen erlauben. Kleines Volumen entspricht aber für die Bassreflexabstimmung einer hohen Federsteifigkeit. Für eine tiefe Resonanzfrequenz brauche ich also eine entsprechend schwere Masse (entsprechend brauche ich ein entsprechend langes Rohr oder eine schwere Passivmembran). Soweit kein Problem. Nun sagt mir aber mein rudimentäres Physikverständniss, das es einen Unterschied macht, ob ich ein schweres System zu Eigenschwingungen anregen will, oder ein leichtes System (bei gleicher Resonanzfrequenz). In ein schweres System muss ich mehr Energie reinstecken um auf die gleiche Amplitude zu kommen. Ist das richtig? Es dauert also länger, bis ich auf die maixmale Amplitude komme? Wieso steckt das in den gängigen Formeln zur BR Berechnung nicht drin?

tubestrek
06.12.2021, 23:09
Im Ansatz stimmt es schon: " In ein schweres System muss ich mehr Energie reinstecken um auf die gleiche Amplitude zu kommen " daher haben Abstimmungen mit schweren Membranen auch den kleineren Wirkungsgrad. Auf die "Geschwindigkeit" hat das keinen Einfluss in dem Sinn. Es muss nur mehr Energie ins System reingesteckt werden. Nachteile gibt es aber schon. Bei Passivmembranen, die sehr schwer sind, können Taumelbewegung eintreten, wenn die Aufhängung nicht genug "zentriert" und bei langen und dünnen BR-Kanälen kommen Strömungsverluste immer mehr Zum Tragen. Auch ist Luft ja nichtlinear Kompressibel, aber ich glaub das spielt nur bei sehr hohen Drücken eine Rolle, wie es bei sehr hohen Pegeln in Druckkammersystemen vorkommt.

fosti
06.12.2021, 23:49
......Nun sagt mir aber mein rudimentäres Physikverständniss, das es einen Unterschied macht, ob ich ein schweres System zu Eigenschwingungen anregen will, oder ein leichtes System (bei gleicher Resonanzfrequenz). In ein schweres System muss ich mehr Energie reinstecken um auf die gleiche Amplitude zu kommen. Ist das richtig? Es dauert also länger, bis ich auf die maixmale Amplitude komme? Wieso steckt das in den gängigen Formeln zur BR Berechnung nicht drin?

Nein, aus meinem Verständnis ist das nicht so. Dem konjugiert komplexen Eigenwertpaar, was man aus der Lösung des charakteristischen (Nenner-)Polynoms der Systemübertragungsfunktion gewinnt ist es herzlich egal wie es zu seinen Werten kommt.....schwere Masse oder hohe Nachgiebigkeit der Feder......energetisch nimmt sich das bei gleicher Dämpfung nix....

Die Energieformeln sind ja alle gleich: W=0,5*L*i^2, W=0,5*C*u^2, W=0,5*m*v^2, W=0,5*c*x^2....

EDIT: Der "Fehler" ist, dass immer nur der Masse Trägheit zugemessen wird...dem ist mitnichten so....

Letztendlich gelten die Impulserhaltungssätze:

p=m*v (mechanischer Impuls)
psi=L*i (magnetischer Fluss)
Q=C*u (Ladung und Kapazität eines Kondensators)

und eingeschränkt aber zumindest in Analogie: F=c*x bei der Feder (Hooke'sches Gesetz)

etc. für andere physikalische Gebiete....

Edit2: Merkt ihr was? Die Größe "hinten" in den Impulssätzen (v, i, u, x) kann nicht springen, denn das würde einen Sprung in der Energie bedeuten....nach der Leistungsformel P = dW / dt würde aber jeder auch noch so kleine Sprung eine unendlich hohe Leistung erfordern....tja

Kalle
07.12.2021, 08:39
Hallo Michael.
man sollte bei Passivmembranen auch sehen, wo und wie sie eingesetzt werden.
Die Regel, dass die Passivmembran immer größer als die aktive Membran sein oder zumindest deutlich höheren Hub ermöglichen soll, ist im HiFi-Bereich durchaus nicht allgemein gültig. Bei einer kleinen Box mit einem 5 " bis 10" z.B. würde ich diese These durchaus befürworten.
Bei 12" oder 15" Zöllern ist das für den Heimbertrieb nicht notwendig, denn bevor die Passivmembran da in die Begrenzung kommt hat auch der Letzte unter Schmerzschreien die Wohnung verlassen. Wenn ich mit meinem 15" Zöller mit 15" Passivmembran wirklich sehr laut höhre sehe ich bei beiden Chassis kaum eine Membranbewegung. Bei Passivmembranen, die aus optischen und Kosten-Gründen aus normalen Körben und Zentrierungen aufgebaut werden sehe ich die Gefahren des Taumelns nicht.
Die Passivmembran ist ja wie so vieles ein Feder-Masse-System. Die notwendige Masse um die gewünschte Abstimmung zu erreichen ist ja auch von der Federhärte der Aufhängung ab. Je weicher diese ist, desto kleiner kann die Masse sein.
Es ist ja auch keine Frage, ob man Bassreflex oder eine Passivmembran einsetzt, denn oft ist es eine Frage der unteren Grenzfrequenz. Die Wahlfreiheit ist da irgendwann eingeschränkt. Bei tiefen Abstimmfrequenzen in kleinen Gehäusen kann der notwendige Querschnitt und die passende Länge des Kanals nicht mehr sinnvoll untergebracht werden, es sei denn man baut direkt eine TML.
Bei dem Faital 15PR400 stand ich auch vor dem Problem, die langen Kanäle waren bei einer Jensen/Onken-Konstruktion einfach bei passenden 120 l nicht mehr sinnvoll unterbringen, deshalb der Griff zur PM.
Jrooß Kalle

Koaxfan
07.12.2021, 09:24
Lassen sich diese Herausforderungen denn ggf. durch eine Kombination von BR und PM lösen? Ich habe hier ein paar sehr kleine Zweiwege-Schreibtischboxen von JVC die mit "Hybrid Bass System" bedruckt sind und anscheinend sowohl einen BR-Kanal nach vorne als auch eine PM nach hinten haben. Die machen für ihre Größe einen wirklich bemerkenswerten Bass und ich frage mich: Warum habe ich dieses Setup sonst nirgendwo gesehen?

JFA
07.12.2021, 09:27
Nun sagt mir aber mein rudimentäres Physikverständniss, das es einen Unterschied macht, ob ich ein schweres System zu Eigenschwingungen anregen will, oder ein leichtes System (bei gleicher Resonanzfrequenz).

Schulphysik sagt, dass eine hohe Masse bei gleicher Geschwindigkeit mehr Energie als eine kleine Masse hat/speichert (Em=1/2*m*v²). Genauso sagt die Schulphysik, dass eine steife Feder mehr Energie als eine weiche Feder hat/speichert (Ef=1/2*D*s², D: Federkonstante, s: Auslenkung).

Jetzt vom wenig anschaulichen Fosti'schen charakteristischen Polynom weg, ein wenig darüber denken was eigentlich in so einem BR-System passiert. Mechanisch lässt sich das wunderbar als Feder-Masse-Pendel beschreiben: die Feder ist irgendwo befestigt, die Masse hängt an der Feder, und irgendwo sind ein wenig Verluste (Reibung im Port, aber auch die abgestrahlte Schallenergie können als "Verluste" beschrieben werden). Aber die ignorieren wir vorerst.

Schubsen wir die Masse an, so wird sie sich natürlich entsprechend des anschubsenden Impulses bewegen (Impulserhaltungssatz!). Gleichzeitig wird die Feder ausgelenkt, die übt eine Kraft in der der Bewegung entgegengesetzten Richtung aus, die Masse wird also abgebremst. Das geht so weit, bis die komplette initiale Energie der Masse in der Feder gespeichert ist (Em = Ef, siehe oben). Weil die Feder keine Lust, die ganz Zeit gestreckt zu sein, beschleunigt sie die Masse wieder in die andere Richtung, ohne daran zu denken, dass bei völliger Entspannung ja ihre Energie wieder in der Masse steckt, und das Spielchen geht von vorne los, bloß in die andere Richtung. Das geht dann immer so weiter, und weil Geschwindigkeit und Strecke (Auslenkung) über die Zeit miteinander verbunden sind, ergibt sich eine harmonische Schwingung bei der Resonanzfrequenz, die von Masse und Federsteifigkeit bestimmt wird (ich glaube, das fällt auch noch unter Schulphysik).

Jetzt ein wenig Denken:
Was passiert, wenn wir die Masse verdoppeln (Federsteifigkeit bleibt gleich)? Die hineingesteckte Energie ist die gleiche, also muss die Auslenkung gleich bleiben, denn diese Energie wird ja weiterhin von der nicht veränderten Feder aufgenommen. Allerdings reduziert sich die Geschwindigkeit (auf das 1/1,414... fache) und dadurch natürlich die Resonanzfrequenz.

Was passiert, wenn wir die Federsteifigkeit verdoppeln (Masse bleibt gleich)? Weil die hineingesteckte Energie immer noch die gleiche ist, muss sich die Auslenkung verringern (auf das 1/1,414...fache), wogegen die Geschwindigkeit gleich bleibt (Energie der Masse EM, siehe oben).

Kombiniert man die beiden Änderungen, erhält man die gleiche Resonanzfrequenz, allerdings bei reduzierter Auslenkung und reduzierter Geschwindigkeit). Um auf die gleiche Auslenkung (und damit Geschwindigkeit) zu kommen, müsste man das doppelte an Energie hineinstecken.

Auftritt der Verluste:
Die haben wir bis jetzt ignoriert. Die Energie, die durch die Verluste in Wärme (oder irgendeine andere Energieform) umgewandelt wird, ist direkt proportional zur Geschwindigkeit. Angenommen, dass die Verluste in allen oben beschriebenen Fällen gleich sind. Dann verliert das "leichtere" Feder-Masse-Pendel mehr Energie pro Zeiteinheit als das "schwerere", eben weil die Geschwindigkeit höher ist. Es wird also "schneller langsamer". Der Verlauf ist aber für beide asymptotisch gegen 0, d. h. Auslenkung und Geschwindigkeit streben gegen 0, werden es aber nie, und das "leichtere" Pendel wird immer (etwas) schneller sein und weiter auslenken als das schwerere.

Nächste - entscheidende - Stufe: der Antrieb.
Bisher haben wir das Pendel nur angestupst, also einmal Energie rein und gut. Bei einem Lautsprecher ist das anders: man führt immer Energie nach (gibt Leistung ab). Es stellt sich dann ein Gleichgewicht ein, zwischen der verlorenen Energie und der nachgeführten Energie. Das heißt, die Geschwindigkeit wird so hoch, dass die Verluste gerade eben die nachgeführte Energie ausgleichen. Und weil wir oben in Gedanken die Masse verdoppelt, dadurch die Geschwindigkeit um den Faktor 1/1,414... reduziert haben, wird sich nun die Geschwindigkeit um eben wieder diesen Faktor erhöhen, und weil Geschwindigkeit und Auslenkung in direktem Zusammenhang stehen, erhöht sich auch die Auslenkung um diesen Faktor. Wodurch wir dann insgesamt DOPPELT SO VIEL Energie im schwereren Pendel haben als im leichteren.

Was ich hier in vielen Worten beschrieben habe, kann man auch ganz einfach unter dem Begriff "Gütefaktor" zusammenfassen. Um nichts anderes geht es dabei.

Das Wichtige für deine Frage zusammengefasst: die Auslenkung und die Geschwindigkeit sind in beiden Fällen (leicht und schwer) gleich, aber die gespeicherte Energie ist beim schwereren Pendel doppelt so hoch wie beim leichten, und braucht auch dementsprechend länger zum "Ausschwingen".

Gaga
07.12.2021, 19:39
Hallo Jochen,

jetzt bedanke ich mich einfach mal für Deinen kurzweiligen, informativen und kompetenten Beitrag. Immer eine Freude, Deine Beiträge zu lesen....:ok:

Gruß,
Christoph

JFA
08.12.2021, 11:36
Danke, danke :danke:

Ich muss auch sagen, der ist mir wirklich gut gelungen. Verständlich und vollständig. Wenn ich mir da andere Sachen so anschaue, die ich verzapft habe...

Slaughthammer
08.12.2021, 20:12
Noch eine Frage dazu: Wenn das schwerere System mehr Energie braucht um mit gleicher Amplitude zu schwingen, beide Systeme aber die gleiche Eingangsleistung bekommen, braucht das schwere System dann nicht auch länger zum Einschwingen?

Gruß, Onno

JFA
08.12.2021, 20:38
Definiere Einschwingen.

Ok, ist ne fiese Frage. Wie wäre es mit der Sprungantwort? Die strebt asymptotisch gegen einen bestimmten Wert, und wie lange es dauert, bis sich die Sprungantwort bis auf ein bestimmtes Maß an diesen Wert angenähert hat, wird durch die Güte bestimmt. Also ja: das schwerere System braucht länger.

Jetzt definiere Ausschwingen.

Slaughthammer
08.12.2021, 20:54
Wie wäre es denn, wenn wir uns das Zeitliche Verhalten genau auf der Abstimmfrequenz des Resonators angucken? Also einfach einen Sinussignal mit konstanter Amplitude drauf geben und gucken, wie viele Perioden das System braucht, bis eine konstante Amplitude heraus kommt, dann Anregung abschalten und gucken wie lange es dauert bis nichts mehr heraus kommt? Ist halt fraglich wie praxisrelevant das ist.

JFA
08.12.2021, 21:17
Klar, kann man machen. Das ist dann ein Sinus multipliziert mit einem Sprung bzw. einem Rechteck. Das Ergebnis wird das gleiche sein - auf beiden Seiten

mechanic
08.12.2021, 21:34
Ich habe ja grundsätzliche ein Problem mit kleinen Bassreflexlautsprechern. Und zwar hat irgendwann mal eine Eigenkonstruktion von mir nicht richtig funktioniert und deswegen glaube ich jetzt alle kleinen BR-Boxen haben ein Problem :D.

Ich denke da braucht man kein Physikstudium - da reicht der "gesunde Daumen". Der Wahn, einen höchstens 4-Zöller in maximal 5 Litern auf möglichst 30Hz abzustimmen, führt halt zu solchen "kranken" Lösungen mit 1m Rohrlänge oder 1kg Passivmembran. Nicht alles, was nach den TSP zu einer "schönen Kurve" führt macht auch Sinn, es passt halt einfach nicht und man sollte es daher lassen (oder halt den Zwerg auf 100Hz abstimmen und sich über das freuen, was da trotzdem so an Tönen rausfällt :D !)