PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Frequenzgang Kopfhörer = Target Curve/Zielkurve



AR
23.02.2023, 15:08
Hi,

ich bin da bei meiner Kopfhörersuche auf ein Thema gestoßen - ich hoffe, es war noch nicht im Forum:

Beim Einmessen von Lautsprechern auf den Raum wird ja am Hörplatz auf eine Target Curve hingearbeitet.
Alle Zielkurven fallen ja zu den Höhen hin ab - Toole hat eine erarbeitet; HSB macht es m.W. mit konstant 3db Abfall/zehnfacher Frequenz, wie auch Anselm Görtz u.s.w..

Sollte nicht auch der Kopfhörer den angestrebten Target-Frequenzgang haben?

Der Sennheiser HD650s hat z.B. einen solchen Frequenzgang: https://www.kopfhoerer.de/test/sennheiser-hd-560s/

Meinungen dazu?

Gruß
AR

Gaga
23.02.2023, 18:32
Hi AR,

hier (https://www.headphonesty.com/2020/04/harman-target-curves-part-3/) findest Du eine Erklärung zur Harman Taget Curve für Kopfhörer.

Hier (https://www.soundguys.com/soundguys-house-curve-54290/) eine weitere Erklärung der Taget Curve der 'SoundGuys'.

Die Erklärung, weshalb diese nicht 'Flach' bzw. linear ist:

If you were to measure the acoustic output from a loudspeaker in an untreated, reflective room at your eardrum, the response shape you would get would include the effects of your head, shoulders and ears. What you’ll measure at the ear can be approximated by a transfer function—shown above—referred to as the diffuse field response. Unsurprisingly, the upper midrange and high frequency boost this response provides is reflected in the shape of the Harman curve. You’ll also notice the Harman curve includes a bass boost—this is both to simulate the low frequency enhancement that a typical room gives to loudspeakers (known as room gain), and a result of the preferences of the listeners in the tests.



Zitat SoundGuys, sie link oben. Hervorhebung durch mich.

Kopfhörer.de sagen zu ihrer Messmethode:

Frequenzgang

Herzstück unserer Messungen ist die Ermittlung des Frequenzgangs. Hier lässt sich schon sehr gut abbilden, wie der Kopfhörer letztlich klingt. Als Messsystem dient ein Kunstkopf, der Neumann KU 100 (https://de-de.neumann.com/ku-100), welcher DER amtliche professionelle Kunstkopf ist und in unserem Mess- und Aufnahmestudio steht. Ein „Ohr“ des KU 100 wird soweit mit Moosgummi modifiziert, dass die Kopfhörer immer dicht abschließen. Aufgrund von technischen und auch zeitlichen Limitierungen können wir nicht jeden Kopfhörertyp messen. Reine Bluetooth-Kopfhörer, die keinen analogen Eingang besitzen, sowie True Wireless In-Ears können wir nicht zu 100 % Prozent vergleichbar messen, so dass wir uns daher entschieden haben, diese leicht fehlerbehafteten Messungen nicht zu veröffentlichen.



Zitat: https://www.kopfhoerer.de/so-testen-wir/

Es scheint von der Messmethode oder Darstellung abzuhängen, welcher FR gemessen/abgebildet wird.

Beim Test des Sundara z.B. siehe hier (https://www.audiosciencereview.com/forum/index.php?threads/hifiman-sundara-review-headphone.22529/), wird ebenfalls (grob) mit der Harman-Taget-Curve verglichen und das EQing entsprechend der Abweichung zu dieser Target Curve vorgeschlagen. Dies schien mir bei Hörtests mit dem Sundara auch sinnvoll.

Gruß,
Christoph

Franky
23.02.2023, 20:24
Bei Kopfhörern kann ich ganz einfach gewaltig am Frequenzgang drehen indem ich den Anpressdruck an den Kopf erhöhe. Das kann im Bassbereich durchaus mal 10dB mehr bedeuten. Den welligen Verlauf im Hoch-und Superhochtonbereich kann ich durchaus nachvollziehen. Das messe ich auch so mit diversen Unterschieden. Ich habe bei Monacor so ca. 20 Kopfhörer getestet darunter auch einige von AKG, Beyer, Sennheiser usw. Linear ist da keiner und die Unterschiede sind viel größer wie bei Lautsprechern. Solche Unterschiede würden in Foren zu Hifi-Lautsprechern zu erbitterten Kontroversen führen - bei Kopfhörern lässt man das als Geschmackssache durchgehen.

josh_cpct
23.02.2023, 22:29
Der Boom Zisch Sound meines Beyer dt990 hat mich dazu bewogen die Sonarworks Software zu testen. Das klingt schon viel viel besser.

Meine zwei Stax gefallen mir prinzipiell besser. Mit der Sonar kam der Beyer aber schon näher. Sonarworks macht flachen Frequenzgang wenn ich mich richtig erinnere.

Auf meinem rundem kleinen alten Stax habe ich noch einen Diffusfeldentzerrer. Der hebelt nur etwas am Präsenzbereich. Das klingt schon viel räumlicher.

Der neue eckige Stax ist besonders offen und lässt die Umgebung sehr linear durch. Das hat zu meiner Überraschung die wahrgenommene Tonalität viel stärker beeinflusst als der Fgang des Kopfhörer selbst. Wenn ich nur die Hände um den Stax lege, nichtmal berühre sondern nur in der Nähe, ändert sich das Klangbild zum trötigen hin, wie normale Kopfhörer für mich allesamt klingen. Drücke ich die Stax leicht an, kommt auch der Bass viel stärker und es gibt das übliche gedröhne dass mich an allen Kopfhörern stört. Der Stax ist eher schlank, luftig, englisch.

Im Raum an Lautsprechern bevorzuge ich dagegen keinen exotischen Sound, sondern habe durchaus mit Freunden und Studiolautsprechern einen gemeinsamen Nenner.

gruß
Josh

Christoph Gebhard
24.02.2023, 10:14
Moin,


Solche Unterschiede würden in Foren zu Hifi-Lautsprechern zu erbitterten Kontroversen führen - bei Kopfhörern lässt man das als Geschmackssache durchgehen.

Grundsätzlich sehe ich das ähnlich. Aber du darfst auch zwei Punkte dabei nicht vergessen:

- bei Lautsprechern kommt der Raumeinfluss noch hinzu und verändert die Tonalität. Auch da gibt es dann am Ende eine große Toleranz für Welligkeiten.
- oberhalb von 6kHz dürfen vereinzelte Spitzen und Senken aufgrund des bei jedem Menschen unterschiedlichen Einfluss des Hörkanals und der Ohrmuschel bei Kopfhörern nicht überbewertet werden

Aber bei Kopfhörern ist es am Ende ähnlich wie bei Lautsprechern: Viele teure Sachen sounden stark und sind eigentlich HiFi-untauglich:


https://www.youtube.com/watch?v=8y5CojhLGiE

Hier hat Oluv fünf vollkommen unterschiedliche Kopfhörer auf den gleichen Frequenzgang entzerrt und sie klingen danach wirklich sehr ähnlich und sind kaum mehr auseinanderzuhalten:


https://youtu.be/YKrvAfMlAwk

Kurzum: 99% des Sounds ist der Frequenzgang und natürlich lohnt es sich dann auch mit den EQ-Möglichkeiten unserer Zeit (z.B. Wavelet) dadurch eine Verbesserung anzustreben (die Links von Gaga sind fürs Verständnis sehr hilfreich).


Ich beschäftige mich im Moment mit der Entzerrung meines HD58X Jubilee. Interessant ist vor allem, dass so Dinge wie Räumlichkeit sehr stark (und bei Kopfhörern fast ausschließlich) mit der Tonalität zusammenhängen. Unentzerrt klingt er eher kompakt und intim, mit Entzerrung öffnet sich der Raum enorm.

Ich höre im Moment mit einer Mischung aus drei unterschiedliche Kurven, die sich alle auf die Harman-Kurve beziehen, denen aber abweichende "Raw"-Kurven zugrunde liegen. Die drei Kurven (von Oratory, Crinacle und Rtings) habe ich mir alle einzeln angehört und ja nach Aufnahme habe ich mal die eine, mal die andere bevorzugt. Also habe ich sie gemittelt, was für mich schon ein sehr guten Kompromiss darstellt und besser als jede einzelne klingt.

Trotzdem erscheint mir der Superhochton eine Spur zu laut. Dort bevorzuge ich ca. 1dB weniger. Im Tiefbass habe ich auch nicht komplett auf ultralinear entzerrt, da der Sennheiser als offener Kopfhörer dort naturgemäß abfällt und bei einer zu starke Entzerrung etwas "polterig" wird (ich vermute Intermodulation).

Bei guten Aufnahmen passt die Harman-Kurve für meine Empfinden sonst sehr gut. Ich habe eine Hörtest-Playlist von über 200 Songs aus allen Richtungen. Die kannst du mit großen Vergnügen durchhören und ein Ausschalten der Entzerrung verschlechtert eigentlich immer den Klang.

Bei durchschnittlichen Aufnahmen außerhalb der Hörtest-Playlist könnte die Entzerrung manchmal schon mal etwas gnädiger sein (also mehr Fülle/Wärme, weniger Präsenz). Wenn man dahingehend eingreift leidet aber die Offenheit bei guten Aufnahmen.

Gruß, Christoph

P.S. Quelle der Entzerrungskurven: https://github.com/jaakkopasanen/AutoEq

diplo
24.02.2023, 18:20
Weiterreichende Anmerkungen zu „Bei Kopfhörern kann ich ganz einfach gewaltig am Frequenzgang drehen indem ich den Anpressdruck an den Kopf erhöhe. Das kann im Bassbereich durchaus mal 10dB mehr bedeuten“.


Vergleichbares kann vor und nach Frisörbesuch beobachtet (gemessen) werden. Ursache Änderung Kopfhaar (Menge/Stärke) zwischen Kopf und Kopfhörermuschel (Druckkammereffekt) und die sich ergebend veränderliche Undichtigkeit. à Vollglatzen haben mehr Bass als Haarträger beim Kopfhörerhören.


Auch fällt der gehörte Frequenzgang eines Kopfhörers insgesamt individuell differierend bei unterschiedlichen Personen aus.


Abhängig von Form, Durchmesser und Länge des Gehörganges entsteht ein individuell differierender Frequenzgang vom/zwischen Gehöreingang zum/am Trommelfell. (ortsabhängiger Schalldruck/Schallschnelle). Dies ist beim natürlichen hören (Freifeld) ebenfalls gegeben, wird vom Kophörer (Gehörgang nun nicht mehr einseitig offenes Rohr sondern (grob) durch Kophörermuschel mit Zusatzvolumen abgeschlossen) differierend verzerrt. Hinzu kommen die beim Kopfhörer nicht mehr gegebenen, ebenfalls individuell differierenden Eigenschaften von Oberkörper/Kopf/Außenohr (HRTF).


Daher kann es prinzipbedingt den für alle bestmöglich entzerrten Kopfhörer/Filterkurve nicht geben.


Von einem Kunstkopf auf den individuellen Menschen zu schließen ist entsprechend individuell fehlerbehaftet.


Frany’s Aussage „Linear ist da keiner“ muß im Umkehrschluss zutreffen, da es kein richtiges Linear gibt, dies ist temporär wie auch vom Individuum abhängig.


Einer der Gründe warum zum Hörtest bei HNO/Hörgeräteakustiker in 5dB Schritten gemessen wird.


Die im-Kopf-Lokalisation beim Hören über Kopfhörer ist ein weiterer Nachweis zu den Beschränkungen der Übertragungseigenschaften von Kopfhörern.


Ich schrieb dies weil ich denke, oftmals nicht bewusste/bekannte Eigenschaften, so auch in den im Trad bisher genannten Schriften (oder hab ich es übersehen) nicht hinreichend thematisiert.

diplo
24.02.2023, 19:50
Nachtrag.

69675


Die Grafik zeigt


Blau, den linearisierten Frequenzgang an der Schallaustrittsöffnung eines 1,2/0,7 mm Schallschlauches.


Hellgrün den sich ergebenden Schalldruck über den Frequenzbereich, wenn der Schallschlauch an eine definierte Position in den Gehörgang eingeführt wird, der Gehörgang nach außen offen bleibt (vergl. offener Kopfhörer).


Dunkelgrün ist der selbe Messvorgang nach Verschluss des Gehörganges nach außen (vergl. geschlossener, dicht anliegender Kopfhörer, in-Ears).


Die Minima und Maxima der blasser gezeigten Kurven unter und über der Hauptkurve zeigen die Messabweichungen zu mehrmaligem Ab- und wieder Aufsetzen und hierzu jeweils wiederholtem Messablauf (gesamt 5 Messdurchläufe pro Messreihe und Proband).


Die gezeigten Kurven zeigen die Perzentil gemittelten Werte von 17 Probanden, um eventuelle Extremwerte nur eines Probanden auszuschließen.


Die gezeigten Kurven sind nicht geeignet den absoluten Frequenzverlauf am Trommelfell aufzuzeigen.


Ziel war die Darstellung der Differenzen zwischen nach außen offenem und geschlossenem Gehörgang an einer definierten Position im Gehörgang.


Hierzu wurde der Schall über besagten Schallschlauch sowohl abgegeben (von Lautsprecher über Schallschlauch) als auch wieder über einen zweiten baugleichen Schallschlauch empfangen (von Schallschlauch zu Mikrofon).


Die geringen Schallschlauchdurchmesser wurden gewählt, um die akustischen Eigenschaften des Gehörganges nicht übergebührend zu beeinflussen (audiologische Praxis).


Erhebliche Differenzen zwischen offenem und verschlossenem Gehörgang sind über dem gesamten Hörbereich gegeben. Sie betragen unter 800 Hz wie auch über 2000 Hz teilweise über 15 dB.


Bauartbedingt begrenzen die geringen Schallschlauchdurchmesser die Übertragungseigenschaften zu tiefen wie auch zu hohen Frequenzen (SNR erreicht Signalpegel). Der gezeigte Frequenzgang ist daher auf 100 – 10 kHz beschnitten.

Sofern für den Leser interessant gerne noch ewas mehr.

Darakon
24.02.2023, 20:53
...was bei Lautsprechern der Abhörraum ist, ist bei Kopfhörern die Frisur.

Darakon
24.02.2023, 20:58
mal ernsthaft:
sehr interessante Beiträge @ diplo und Christoph.
Danke dafür!

mechanic
24.02.2023, 21:02
...was bei Lautsprechern der Abhörraum ist, ist bei Kopfhörern die Frisur.

:prost::prost:
Sehr gut - ich stelle mir gerade das Gesicht meines Friseurs morgen früh vor, wenn ich ihn mit einer Zielkurve überrasche :D !

Franky
24.02.2023, 21:46
Bin erst nächste Woche wieder in der Firma und dann kann ich Messungen posten.