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Schallbeugung oder Kantendiffraktion
#21
Dissi schrieb:Einfach ausgedrückt: Im Falle eines Lautsprechers breitet sich der Schall ausgehend vom Chassis zuerst in Form einer Halbkugel auf der Schallwand aus. Erreicht er die Gehäusekante entsteht dort eine sekundäre Schallquelle, die den Schall (quasi um die Ecke) in den sich neu öffnenden Raum strahlt (gleichphasig).

So weit gut.

Zitat:Da es sich aber um eine passive Quelle ohne eigenen Antrieb handelt, bezieht sie die benötigte Energie aus der Halbkugel vor der Schallwand.
Hierbei bekomme ich Magengrimmen.

So eine Kante lässt sich gut als Sprungstelle im Wellenwiderstand beschreiben. Im eindimensionalen Fall wäre es z. B. das offene Ende einer TML. Richtig ist, dass der Schall nach vorne gegenphasig zurückgestrahlt wird (für die HFler: Reflektionsfaktor kleiner 0), nach hinten gleichphasig. Dabei wird keine Energie ent- oder bezogen, sondern brüderlich je nach Geometrie der Kante aufgeteilt. Wenn Du das damit gemeint hast ziehe ich meine Kritik selbstverständlich zurück.

Diese Gleichphasigkeit erklärt allerdings NICHT die +6dB. Denn wie kann es dann sein, dass in manchen Gehäusen Überhöhungen von mehr als 6dB auftreten; z. B. bei einer kreisförmigen Schallwand?

Trick 1)
je höher die Frequenz, umso weiter entfernt (in Wellenlängen) liegt die Kante, umso geringer wird die Rückwirkung auf die Membran; oder anders herum gesprochen, der Realteil des Strahlungswiderstandes steigt. Und zwar auf das Doppelte seines Wertes bei tiefen Frequenzen. Dadurch erhöht sich der Schalldruck nach vorne um 3 dB. Zusammen mit den gegenphasigen Anteilen (die bei entsprechnder Laufzeit gleichphasig werden) durch die Brechung ergibt sich dann +9 dB... Moment mal...

Trick 2)
außer bei kreisförmigen Schallwänden sind nie (naja, fast) alle gebrochenen Schallanteile in Phase zu dem direkten Schall. Weil die Weglängen alle unterschiedlich sind. Auf technisch: die sind unkorreliert. Dann muss man die Teilquellen komplex addieren, und erhält eben nur + 3 dB (mit Schwankungen)

Anhängend noch das ursprünglichste aller Paper zu dem Thema (von 1951!)


Angehängte Dateien
.pdf   olson_direct-radiator-loudspeaker-enclosures.pdf (Größe: 749,88 KB / Downloads: 2.501)
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#22
Danke JFA! Das Dokument hab ich schon seit langem gesucht...
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#23
Hallo!
JFA schrieb:Eine (resultierende) Kraft sorgt auch immer für eine Bewegung.
Nein. Ein Apfel, der vom Baum gefallen ist, wird immer noch von der Erde angezogen. Er bewegt sich aber nicht mehr. Die +6dB Schalldruck beim Übergang von Voll- zu Halbraumabstrahlung würde ich einfacher erklären: +3dB kommen daher, daß nur noch das halbe Volumen beschallt werden muß, der Treiber aber nicht bereit ist, seine Leistungsabgabe zu halbieren. Die anderen +3dB kommen daher, daß sich der Strahlungswiderstand verdoppelt hat, sodaß der Treiberhub doppelt so effizient in Schalldruck umgewandelt wird. Uli
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#24
Grasso schrieb:Hallo! Nein. Ein Apfel, der vom Baum gefallen ist, wird immer noch von der Erde angezogen. Er bewegt sich aber nicht mehr.

JFA schrieb:Eine (resultierende) Kraft sorgt auch immer für eine Bewegung.

Stelle Dir den Erdboden als Feder vor: der Apfel liegt drauf, komprimiert die, aber nur so lange wie F(Erde->Apfel)=F(Apfel->Feder) ist. Einfache Umformung ergibt: resultierende Kraft F=0.

Zitat:Die +6dB Schalldruck beim Übergang von Voll- zu Halbraumabstrahlung würde ich einfacher erklären: +3dB kommen daher, daß nur noch das halbe Volumen beschallt werden muß, der Treiber aber nicht bereit ist, seine Leistungsabgabe zu halbieren.

Diese Erklärung habe ich gehört, die ist auch richtig, allerdings bin ich mit der nie warm geworden.
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#25
Ich versuche, sie für Dich anzuwärmen und allen verständlich zu machen: Ein in ein geschlossenes Gehäuse mit kleinstmöglicher Schallwand eingebauter Treiber will unterhalb seiner Bündelungsfrequenz, die der Schwingkolbendurchmesser geteilt durch Pi ist, kugelförmig abstrahlen. Sein Hub wird nicht von der Luftlast sondern von seinen eigenen Eigenschaften, zuerst der Schwingkolbenmasse, und unterhalb seiner unteren Resonanzfrequenz der Schwingkolbenaufhängungssteife bestimmt. Wenn man ihm nun eine Schallwand gibt, ist die Luftlast immer noch viel kleiner als die Schwingkolbenmasse. Sie ist aber verdoppelt worden. Der Schalldruck steigt mit der Wurzel der Luftlast, also +3dB.
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#26
Das ist der Strahlungswiderstand, aber nicht die Geschichte mit dem halbierten Volumen.

Außerdem erklären sich darüber nicht die teils gewaltigen Überschwinger bzw. ab und zu ebenso gewaltigen Einbrüche. Passt einfach nicht.
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#27
Hallo Männers,
da geht ein wenig was durcheinander, bzw. werden hier unterschiedliche Effekte miteinander vermengt.

1. Effekt ist der reine Bafflestep, das ist der Übergang von Halbraumstrahler zum Vollraumstrahler, und da kann der Pegelunterschied maximal 6 dB betragen, da beisst die Maus keinen Faden ab.

2. Effekt sind die Schallwandkanteneffekte, also die dort angeregten Sekundärschallquellen die mit dem Direktschall interferieren.
Das fängt dort so richtig an, wo eine halbe Wellenlänge in den Abstand der Schallwandkanten passt und geht weiter mit sich verkürzender Wellenlänge.
Einsichtigerweise sind diese Effekte maximal bei mittiger Treibermontage und Messung auf Achse.
Ausser Winkel gemessen (z.B. 30 Grad) sind die Effekte aber fast weg.
Was noch wichtig ist: Mehr Schallenergie entsteht dadurch nicht.

Und: Wenn man nun mit der Weiche auch noch den Pegel oberhalb der 6 dB auch noch auf Achse glattbügelt, verschärft man sich z.B. bei einem klassischen Zweiweger die Schallleistungsabgabe noch zusätzlich über das Maß hinaus, das sich ohnehin durch das Bündelungsverhalten der Treiber ergibt.
Da ist eine Abstimmung z.B. auf 30 Grad oftmals sinnvoller, wenn man auch den Leistungsfrequenzgang im Auge behalten will.

Habe mal Edge befragt...
Simulation von typischen Treibergrößen für einen Zweiweger, mittige Montage, Schallwände jeweils 200 und 500 mm breit.
Grün ist jeweils die schmale Schallwand, rot die breite.
Zunächst der 25er Treiber 0 Grad:
[Bild: picture.php?albumid=875&pictureid=24355]

Man kann erkennen, das die breite Schallwand da obenrum weniger Probleme macht, und das ist mit Bearbeitung der Schallwandkanten noch verbesserbar.

Nun der 25er auf 30 Grad:
[Bild: picture.php?albumid=875&pictureid=24356]
[IMG]
Bitte beachten dass Edge ausser Winkel weniger Pegel anzeigt, gedanklich die Kurven also um ca. 1 dB nach oben verschieben.

Nun der 170er (130 mm Membrandurchmesser) auf 0 Grad:
[Bild: picture.php?albumid=875&pictureid=24357]

und auf 30 Grad:
[Bild: picture.php?albumid=875&pictureid=24358]

Auch da gedanklich wieder 1 dB nach oben schieben.
Nebenbei erkennt man da, wie sinnvoll aus Sicht der abgestrahlten Schalleistung bei einem Zweiweger Trennungen um 2500-3000 Hz sind....:thumbdown:

Nun: fröhliches interpretieren.....

Gruß
Peter Krips
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#28
Kripston schrieb:1. Effekt ist der reine Bafflestep, das ist der Übergang von Halbraumstrahler zum Vollraumstrahler, und da kann der Pegelunterschied maximal 6 dB betragen, da beisst die Maus keinen Faden ab.

2. Effekt sind die Schallwandkanteneffekte, also die dort angeregten Sekundärschallquellen die mit dem Direktschall interferieren.

Der für mich entscheidende Punkt ist, dass sich 1. durch 2. erklären lässt. Aber nicht 2. durch 1. Also ist "der reine Bafflestep" eine unzureichende Erklärung.
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#29
Hallo,
JFA schrieb:Der für mich entscheidende Punkt ist, dass sich 1. durch 2. erklären lässt.
sehe ich nicht so, wie oben schon geschrieben.
Kann es sein, dass du übersiehst, dass Wellenlängen, die groß gegen die Abmessungen des Hindernisses (hier: der Schallwand) sind, einfach darum herumgebeugt werden und somit noch keine Kanteneffekte wie "obenrum" entstehen ?

Zitat:Aber nicht 2. durch 1. Also ist "der reine Bafflestep" eine unzureichende Erklärung.

Natürlich geht das nicht, da zwei unterschiedliche Effekte.

Gruß
Peter Krips
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#30
Kripston schrieb:sehe ich nicht so, wie oben schon geschrieben.
Kann es sein, dass du übersiehst, dass Wellenlängen, die groß gegen die Abmessungen des Hindernisses (hier: der Schallwand) sind, einfach darum herumgebeugt werden und somit noch keine Kanteneffekte wie "obenrum" entstehen ?

Nein, wenn sie gebeugt werden, werden sie schon gebrochen. Auch da unten gibt es schon die Kanteneffekte. Wegen der langen Wellenlängen sind die Auswirkungen aber anders.
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#31
JFA schrieb:Nein, wenn sie gebeugt werden, werden sie schon gebrochen.

Halthalthalt.

Zitat:Hierbei bekomme ich Magengrimmen.

Julian
:dance:
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#32
ferryman schrieb:Halthalthalt.

Hört auf mit Schulphysik zu denken.

Einfacher Fall: eindimensionaler Wellenleiter, offener Abschluss (endet im Vollraum), im Volksmund auch Transmissionline genannt. Welle läuft durch den Leiter, trifft auf den Abschluss, und dann:
- ein Teil wird reflektiert (Reflexionsfaktor r)
- ein Teil wird transmittiert (Transmissionsfaktor t)
- die Leistungen beider Teile summieren sich zu 1 (r²+t²=1)

Wie breitet sich die einfallende Welle aus?
- eindimensional

Wie breitet sich die reflektierte Welle aus?
- so wie sie angekommen ist, nur in die andere Richtung

Wie breitet sich die transmittierte Welle aus?
- Querschnitt* Abschluss << Wellenlänge => kugelförmig
- Querschnitt Abschluss >= Wellenlänge => gebündelt, mit Nullstellen abhängig vom Verhältnis Wellenlänge zu Querschnitt

Jetzt gehen wir eine Dimension hoch: eine Seite des Wellenleiters wird umgeklappt, bei den Lautsprecherbauern nennt sich das dann "Schallwand". Der Abschluss ist aber immer noch der gleiche, nämlich Übergang in den Vollraum.

Jetzt nochmal die Fragen:
- wie breitet sich die einfallende Welle aus?
- wie die reflektierte?
- wie die transmittierte?

Wenn ihr anfangt so zu denken, dann kommt ihr darauf, warum Kantenbrechung** und Beugung identisch sind.

* hier endet dann die Eindimensionalität

** es gibt noch den anderen Fall von Brechung, bekannt vor allem aus der Optik, nämlich wenn sich das Medium und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeit ändert. Das ist hier ja explizit nicht der Fall, wobei auch dieses Phänomen eine Änderung des Wellenwiderstandes beinhaltet.
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#33
JFA schrieb:Das ist der Strahlungswiderstand, aber nicht die Geschichte mit dem halbierten Volumen.
Ja, aber auch letzteres sollte durch die Strahlungsimpedanz selbstverständlich geworden sein. Ein ebener Schwingkolben ist an die Impedanz der Luft bei der Frequenz angepaßt, bei der sein Durchmesser gleich der Schallgeschwindigkeit geteilt durch diese Frequenz ist. Zu tieferen Frequenzen hin sinkt die Anpassung, zu höheren hin bleibt sie gleich.

Die Welle wird an einer Kante gebrochen, weil ein Teil ihrer Leistung zur Entstehung einer zweiten Welle gebraucht wird. Stetige Richtungsänderung einer Welle, also Wellenbeugung kenne ich aus der Akustik nicht.
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#34
Grasso schrieb:Ja, aber auch letzteres sollte durch die Strahlungsimpedanz selbstverständlich geworden sein. Ein ebener Schwingkolben ist an die Impedanz der Luft bei der Frequenz angepaßt, bei der sein Durchmesser gleich der Schallgeschwindigkeit geteilt durch diese Frequenz ist. Zu tieferen Frequenzen hin sinkt die Anpassung, zu höheren hin bleibt sie gleich.

Und das hat genau was mit dem durchstrahlten Volumen zu tun?

Zitat:Die Welle wird an einer Kante gebrochen, weil ein Teil ihrer Leistung zur Entstehung einer zweiten Welle gebraucht wird.

Begründung der Ursache durch die Wirkung. Interessant.
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#35
Wie immer kann ich nur Dipol Big Grin

Hier ist der Vorgang ziemlich weitschweifend beschrieben. Es kulminiert in post #85. Offensichtlich sind die Beschreibungen irgendwie richtig, da die Ergebnisse weitaus besser zur Wirklichkeit passen als solche Krücken wie Edge.

Gruß
Rudolf
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